Schuldenkrise, Hilfspakete, Depression, Grexit, Neuwahlen – soweit die Überschriften der letzten Monate, wenn es um unsere Mitmenschen aus Griechenland ging. Doch wie sieht es wirklich aus in einem Land, das unter Problemen nur so zu ersticken scheint? Ich war im August vor Ort, sah mich um, sprach mit der Bevölkerung und half bei Guerilla-Aktionen.
Ein brennendes Plädoyer gegen Vorurteile und für mehr Nachbarschaft.
Reden ist gut, machen ist besser.
Wir befinden uns in Katerini, eine Stadt im Norden Griechenlands unweit von Thessaloniki – ganz zauberhaft am Fuße des Olymps, das Mittelmeer vor der Brust.
Hilfe zur Selbsthilfe
In Katerini leben 300 Familien, die auf Nahrungsmittel-Rationen angewiesen sind und es werden jede Woche mehr.
Durch die Bürgerinitiative O TOPOS MOU (Mein Ort) ist es den Familien möglich sich einmal im Monat eine Ration abzuholen. Jeden Monat gibt es so Zucker, Milch, Mehl, Reis, Nudeln – alles Dinge des täglichen Lebens.
Dass Griechenland in einer Krise steckt, ist allgemein bekannt. Gehälter wurden massiv gekürzt, Arbeitslosigkeit ist keine Seltenheit mehr und viele Geschäfte mussten schließen. Millionen von Griechen sind nicht versichert und müssen sehen, wo sie bleiben.
Wie fühlen sich die Menschen vor Ort und was machen sie konkret, um aus dieser Situation endgültig rauszukommen? Ich bin zu Gast bei der Bürgerinitiative „Mein Ort“ und werde dies die nächsten Tage herausfinden.
Das griechische Agrarministerium hat den Einwohnern der Stadt Katerini nach langem Hin und Her ein Gebäude für mehrere Jahre überlassen.
Das Headquarter, eine alte sehr charmante Tabakfabrik, dient der Medikamentenversorgung, sowie der Lagerung von Nahrungsmitteln.
Das Gelände, eine kleine Wohlfühloase, könnte nicht hippiesker und passender sein. Vor den beiden wunderschönen alten Tabaköfen breitet sich ein großer sonniger Gemeinschaftsgarten samt Innenhof aus, der auch für die unterschiedlichsten Veranstaltungen wie Vorträge, Konzerte oder Open-Air-Kino genutzt wird.
Alles kostenlos!
So war ich auch gleich am zweiten Tag dran, den Kinoabend zu gestalten.
Popcorn, Sternenhimmel und ein wunderschöner Filmabend triumphierten am Ende über anfängliche Befremdung, Sprachbarrieren und technische Schwierigkeiten.
So einfach kann Völkerverständigung sein!
Eines der wichtigsten Projekte der Freigeister aus Katerini ist die pharmazeutische Versorgung der Anwohner. Medikamente, die der Ottonormalbürger aus Europa hierher verschickt, werden sorgfältig geprüft und anschließend einsortiert. Die Wirkstoffe werden dann in eine Onlinedatenbank eingegeben. Menschen, die nicht versichert sind und keine finanziellen Mittel haben, können im Internet nachschauen, ob das benötigte Medikament zur Verfügung steht und es kostenfrei abholen.
Ein Raum für kleinere Untersuchungen wurde auch eingerichtet.
Die Ärzte und Volontäre, die hier aktiv sind, zeigen einen erstaunlichen Zusammenhalt. Die Motivation wächst und die Hoffnung ist lange nicht verloren.
Aktivist ist, wer aktiv ist!
Um den Überblick über die Rationen zu behalten und welche Familie bereits ein Paket bekommen hat, wurde jede einzelne Familie in ein digitales Datensystem eingelesen – mehrere Rationen oder Pakete in einem Monat gibt es nicht.
Nichts desto trotz kann dieses System nur funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen. Deshalb gibt es auch strikte Regeln, an die sich gehalten werden muss. Jede der Familien muss im Monat 8 Stunden Arbeit leisten. Als Arbeit zählen alle Dinge, die nützlich sind und dazu beitragen, der Gemeinschaft zu helfen.
So kam es, dass ich am dritten Tag mit ein paar Locals Gartenarbeit machte – Hecke schneiden stand auf der Agenda.
Der erste Kontakt war geprägt von viel Distanz und einem Gefühl der Befremdung. „Was macht dieser Deutsche hier und dann hilft er uns auch noch“ stand deutlich in der Luft. So musste ich mich erst „beweisen“ und arbeitete die ersten Stunden mehr gegen die Vorurteile und Ängste der Leute, als an der Häcke.
Ein leicht unangenehmes Gefühl, welches ich jedoch gut verstehen kann – spielte doch Stolz eine gewisse Rolle.
Nachdem ich dieses griechische Verhör jedoch überstanden und mich durch fleissige Arbeit bewiesen hatte, wurde ich fast familiär in ihren Kreis aufgenommen und musste das durch ständiges Zigaretten rauchen, welche mir am laufenden Band angedreht wurden, besiegeln – und das als Nichtraucher.
Um die körperlich schwächeren Mitglieder der Familien, wie z.B. Frauen und Kinder, ebenfalls in den Arbeitsalltag zu integrieren, bietet die Bürgerinitiative an, dass die Betroffenen aus frischen Tomaten Tomatenmark herstellen, welches dann wiederum an die lokale Bevölkerung verkauft wird. Das allerdings nur zum Einkaufspreis der Tomaten.
Das Gemüse wird zunächst gewaschen und gekocht, anschließend gepresst und abgehangen. Wenn dies geschehen ist, wird die Paste wieder gekocht um dann heiß in Glasflaschen abgefüllt. Mit dieser Methode lässt sich die Tomatenmark ca. 1,5 Jahre halten.
Riot, Rebellion and Resistance – Guerilla für Fortgeschrittene
Ein weiteres Projekt der Bürgerinitiative ist eines der hilfreichsten und wirkungsvollsten von allen – der Direktverkauf von Gütern.
Erst Anfang des Jahres konnten 4 Lkw Olivenöl für ein fünftel des Marktpreises angeboten und verkauft werden. Seltenes Bargeld auf der Seite der Produzenten und preiswerte Waren für die Konsumenten – alles am Establishment vorbei. Und da fallen schnell mal tausende Euro an, jene der Großhandel dem Erzeuger zwar verspricht, jedoch nur mit Checks bezahlen würde. Oft können Banken diese nicht auszahlen und verschieben. Ein Nervenspiel!
Auch Waschmittel wurde auf diesem weg schon unter die Leute gebracht.
Alles in Eigenregie und ohne jegliche finanziellen Gewinne, wird in der flachhierarchischen Bürgerlobby auch komplett auf die Annahme von Geldern verzichtet.
Spenden werden nur materieller Art angenommen. Von Beton und Kies zum Bauen bis Nahrungsmittel für die Vergabe an Bedürftige – alles ehrenamtlich.
Zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes stand wieder so eine Guerilla-Aktion an. Kartoffeln und Zwiebeln sollten es diesmal sein – 40 Tonnen insgesamt und direkt aus zwei Sattelschleppern heraus verkauft.
Es ging früh los – wie es sich für echte Pioniere gehört – zu einem großen Parkplatz am Rande Katerinis, der schon für den großen Andrang vorbereitet war.
Die jüngeren Helfer wurden auf die körperlich anstrengendsten Plätze verteilt, die Älteren waren für Ordnung und Getränkeversorgung zuständig. So nahm ich meinen Platz oben auf der Ladefläche ein und reichte gut zwei Stunden lang 15 Kilo Säcke Zwiebeln nach unten. Bandscheibe hin, glücklicher Grieche her.
Solche Aktionen werden vom Einzelhandel trotz des Vorteils für beide Seiten nur mit Argwohn geduldet. Selbst die örtliche Presse sieht diese Verkäufe kritisch, werden sie doch viel von größeren Firmen mitfinanziert.
Sehr interessant war das Verhalten der Menschen, die diesen Verkauf natürlich gerne nutzten. Das waren oft genau die Leute, denen es schwer fiel an einem Samstag Morgen beim Ausladen mitzuhelfen, denn es gab ja hierfür keine Bezahlung. Katerini ist eben irgendwie ein Dorf – man kennt sich.
Trotz der vielen kleinen Hürden war diese Aktion ein voller Erfolg. Der nächste Direktverkauf wird derzeit geplant und findet noch diesen Herbst statt.
Der Strand in der Nähe Katerinis im Norden Griechenlands ist wunderschön und das Meer türkis-blau und sehr klar.
In unmittelbarer Nähe des Strandes befinden sich einige hohe Berge sowie vertrocknete Büsche.
Schaut man sich die Landschaft genauer an wird schnell deutlich, dass dies ein perfekter Nährboden für plötzliche und sich rasch ausbreitende Brände ist – und das in unmittelbarer Nähe mehrerer Ortschaften.
Hier hat die Bürgerinitiative O TOPOS MOU (mein Ort) die Initiative „Ich schenke dem Wald einen Tag von meinem Sommer“ ins Leben gerufen.
Für die Sicherheit sorgt diese Initiative der „präventiven Feuerbekämpfung“ an der 220 Familien beteiligt sind. Die drei hierfür speziell errichteten und von einer privaten Schule gespendeten Holztürme direkt am Strand werden von den Volontäre in zwei Schichten, jeweils von 10:00 Uhr- 15:00 Uhr und von 15:00 Uhr- 20:00 Uhr besetzt. Mit einem Heft zum Eintragen und ein Fernglas saß ich einen kompletten Tag auf meinem Hochsitz – Blick auf die Berge, Meeresrauschen im Rücken.
Anders geht es „leider“ nicht, da für die Feuerwehr vielerorts kein Geld mehr da ist. Aber der Einsatz lohnt sich – Dank der Selbstorganisation und Einsatz Aller, denn im letzten Jahr konnten allein ca. 25 – 30 Brandherde entdeckt werden!
Fassen wir zusammen!
Griechenland ist ein facettenreiches sehr schönes Land mit tollem Wetter, viel frischem Obst und sehr hübschen Frauen.
Auch wenn die Stimmung demoralisiert wirkt und vielerorts Tristesse Einzug hielt, gibt es hier und da wahnsinnig tolle Lichtblicke und aufopferungsvolle Menschen, die bereit sind neue Wege zu gehen und sich nicht kleinkriegen lassen.
Thessaloniki und Katerini sind sehr sehenswerte Städte mit direktem Zugang zum Meer, viel Historie und einem entspannten Flair.
Ein eigenständiger Besuch bei unseren Nachbarn wird aufs dringendste empfohlen, denn gerade weil diesmal nicht die eigene Erholung im Vordergrund stand, sondern direkte Hilfe, war es einer meiner schönsten Aufenthalte fernab Berlins.
Reisen ist und bleibt einfach das beste Mittel gegen Vorurteile.
Griechenland, ich komme wieder!
„Jede Angst ist auch ein Stück Hoffnung und jede Hoffnung ist auch ein Stück Angst“, so schrieb es einst Tom Robbins.
In diesem Sinne einen ganz lieben Gruß an meine neuen Freunde in Katerini, Griechenland. Habt lieben dank für die Gastfreundschaft und die schöne Zeit!
Bleibt frei, Hellas!
Euer Nachbar aus Berlin